Trilogie ›Der Prozess I — Eichmann‹

Januar 2021
krüger X weiss

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Wie erfolgreich war die Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit? War sie erfolgreich?

Auftakt – Der Eichmann-Prozess 1961. Ein Interview mit Marie-Luise Krüger und Christian Weiss über ihre Prozess-Trilogie.

Wie ist die Idee zu der Trilogie ›Der Prozess‹ entstanden?

krügerXweiss Die Idee zur Prozess-Trilogie entstand während der NSU Prozess vor Gericht verhandelt wurde. Wir waren schockiert, wie tief und strukturell der Rechtsextremismus in Deutschland, gesellschaftlich und behördlich verankert ist. Wie facettenreich er ist und in welchen unterschiedlichen Ausprägungen er immer noch vorkommt: es reicht von strukturellem Rassismus in den Behörden, offenem völkischen Denken und menschenverachtenden Hassreden einer gewählten Partei im Bundestag, bis hin zu rechtem und antisemitischem Terrorismus. Demgegenüber stand und steht die Erzählung von Deutschland dem Erinnerungsweltmeister, einem Land, das seine nationalsozialistische Vergangenheit und seine Verbrechen angeblich so erfolgreich aufgearbeitet und rechtes Gedankengut überwunden hat. Das passte nicht zusammen. In einem Langzeitprojekt wollten wir dem nachspüren und erforschen wie erfolgreich die Aufarbeitung der Vergangenheit tatsächlich gelang oder vielleicht eben auch nicht. Wir wollten herausfinden, ob unsere Probleme mit Rechtsextremismus und Antisemitismus in der Gegenwart vielleicht etwas mit unserer Vergangenheit zu tun haben. Dafür erschien uns ein Gerichtsprozess als das perfekte Messinstrument. Ein ›Prozess‹ verhandelt ausführlich und gründlich einen Tatbestand, alle Seiten werden gehört, es wird aufgearbeitet und analysiert, am Ende wird ›Im Namen des Deutschen Volkes‹ ein Urteil gesprochen, das Geschehene bewertet und bestraft. Damit einher geht das Versprechen eines Abschlusses. Etwas soll abgeschlossen werden. Im Zentrum sollte die Selbstverhandlung der Deutschen stehen und die Frage: wie sind die Deutschen mit ihrer Vergangenheit umgegangen, wie haben sie sich selbst bewertet. Aus diesem Grund wollten wir nur Prozesse nehmen, die in Deutschland stattfanden und deren Urteil ein deutsches Gericht gesprochen hatte.

Was war in euren Augen das Besondere am Eichmann-Prozess?

krügerXweiss Gleich der erste Teil, der Eichmann-Prozess bricht dieses Konzept: er fand nicht in Deutschland statt, sondern in Jerusalem. Aber genau deshalb eröffnet er die Trilogie. Die Tatsache, dass er nicht in Deutschland stattfinden sollte, ist das Entscheidende und setzt den deutschen Aufarbeitungsprozess ins entscheidende Licht: in Deutschland wollte man diesen Prozess nicht auf sich nehmen. Die deutschen Geheimdienste und der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer wussten längst, dass Eichmann lebt und wo er sich befindet. Als der deutsche Staatsanwalt Fritz Bauer durch einen Zufall von Eichmanns Aufenthaltsort in Argentinien erfuhr, stand er vor der Entscheidung entweder die deutschen Behörden zu informieren und damit wie in vielen seiner anderen Fälle davor auch, zu riskieren, dass sie entweder gar nichts unternahmen, um die Täter zu fassen, oder diese sogar warnten und entkommen ließen oder Hochverrat zu begehen und mit einem ausländischen Geheimdienst zu paktieren, um ihn vor Gericht zu stellen. Man muss sich verdeutlichen, wie dramatisch die Lage gewesen sein muss, dass ein deutscher Staatsanwalt seinem eigenen Staat so sehr misstraute, dass er keine andere Möglichkeit sah, als mit dem Mossad zu paktieren und damit zu riskieren, dass - würde das jemals rauskommen - er selbst in Deutschland ins Gefängnis dafür geht. Darum musste die Trilogie mit dem Eichmann beginnen und nicht mit den Frankfurter Auschwitz-Prozessen, die danach stattfanden.

Der Eichmann-Prozess ist in vielerlei Hinsicht von enormer Bedeutung: zum ersten Mal kamen die Opfer ausführlich zu Wort. Erst durch diesen Prozess - also 1961 - erfuhr die Weltöffentlichkeit detailliert das ganze Ausmaß der Verbrechen der Nationalsozialisten, über 100 Zeug:innen aus über 30 Ländern haben dort ausgesagt. Die Zeug:innen standen im Zentrum. Dem gegenüber stand der Verbrecher und diesmal war es ein ganz anderer Typus als die NS-Verbrecher, die in Nürnberg vor Gericht standen. Hannah Arendt nannte Eichmann einen ›Hans Wurst‹ und prägte durch ihre Beobachtung des Prozesses den Begriff der ›Banalität des Bösen‹. Während man in und nach Nürnberg noch glauben wollte, diese bestialischen Verbrechen seien von einzelnen pathologisch auffälligen und grundsätzlich bösartigen, sadistischen Persönlichkeiten begangen worden. Man dachte an brutale Täter, die selbst auf barbarische Weise gemordet hatten. Durch den Eichmann-Prozess wurde ein vollkommen neues Licht auf die Täter geworfen. Für unsere Bearbeitung war das das Entscheidende. Aus diesem Grund kommt bei uns fast ausschließlich Eichmann selbst zu Wort, obwohl im historischen Prozess eigentlich die Zeug:innen im Mittelpunkt stehen. Wir brauchten die Zeug:innen nicht mehr, die uns erzählen, was passiert ist. Heute wissen fast alle darüber Bescheid. Was wir aber immer noch nicht verstehen ist, wie jemand dazu kam, mitzumachen. Das wollten wir verstehen und haben darum neben den Prozessakten auch Eichmanns eigene Aufzeichnungen einfließen lassen, die er in der Haft schrieb: ›Götzen‹. Die Stückfassung besteht nur aus Originalmaterial, das von uns zwar eingekürzt, aber ansonsten nicht verfremdet wurde. So wurde der Prozess bisher noch nie gezeigt.

Wir fanden es am wichtigsten zu zeigen, dass egal wie viele Zeug:innen ausgesagt haben, am Ende nicht die Zeug:innen Eichmann überführen, sondern er sich selbst, mit seinen Lügen – wenn man ihm nur lange und gut genug zuhört. Davon können wir heute am meisten lernen: von der Akribie und der Ausdauer, mit der sowohl Gideon Hausner, der Staatsanwalt, als auch die Richter, Eichmann zuhören und jedes seiner Worte auseinandernehmen, bis sie ihn am Ende sich selbst enttarnen lassen.

Wie war die Reaktion des Publikums?

krügerXweiss Die Reaktionen des Publikums würden wir am ehesten mit dem Wort „intensiv“ beschreiben. Dieser Abend ist einfach unglaublich direkt und nah. Durch die Kopfhörer ist jeder Zuschauer und jede Zuschauerin für sich allein mit dem Gesagten konfrontiert. Durch die Art, wie der Sound dabei direkt ins Ohr kriecht. Durch die Art, wie heutig und natürlich die Schauspieler:innen sprechen und die Brutalität des Gesagten dabei unverblümt und ungeniert fallen lassen. Durch die Auswahl des Materials, das wir bisweilen eins zu eins heute wieder hören: ›Ich war nie Antisemit - ich war Nationalist.‹ Durch die radikale Direktheit, die in Eichmanns Aussagen steckt und die uns erschüttert, weil uns in diesen Momenten im Täter selbst erkennen. Ein Beispiel: ›Und dann sagt man sich: wenn ich irgendwo mit einer Arbeit, die mir gegen den Strich geht, eingespannt werden soll, da hau ich einfach auf den Tisch, sage meine Meinung und wetze aus dem Tempel raus, genauso habe ich auch gedacht, aber…‹.

Dieser Abend verlangt dem Publikum sehr viel ab, denn wir haben nicht eingegriffen: Wir lassen den Täter reden, über eine Stunde lang, unzensiert. Bisweilen fragte sich der/die ein oder andere Zuschauer:in, ob das nicht gefährlich sei. Ja, aber welche andere Chance haben wir denn? Dieses Gedankengut ist immer noch da und es muss doch jede und jeder von uns selbst in der Lage sein, es zu enttarnen und zu erkennen, wenn es uns begegnet. Dass wir das schaffen können, wenn wir nur gut genug zuhören, zeigt dieser Abend.